Detlof von Oertzen: eine Biografie

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Lieber Großvater!

Wir haben uns leider nie kennen gelernt. Du hast in einer komplett anderen Zeit gelebt und viele Dinge getan und gedacht, mit denen auseinanderzusetzen ich nicht fertig werde. Du bist im 19. Jahrhundert geboren, 1886, da war Dein Vater noch stolz, dass er den Franzosen eins auf den Deckel gegeben hat, auf dem Pferd, mit dem Degen. Da trugen die Frauen noch Röcke, die sie ständig heben mussten, um nicht zu stolpern. Da studierten die Jungs noch Jura, wenn sie aus gutem Hause waren, so wie Du, Detel. (Detlof hat Dich wohl  kaum einer genannt.) Sonnenklar auch, dass so einer wie Du als Offizier in den Ersten Weltkrieg zog. Belgien, Frankreich, Ostpreußen, Ukraine, Rumänien. Beamter in der Militärverwaltung Rumäniens, als die Deutschen das Land besetzt hielten. Und nach dem Krieg Paris: als Vertreter der Deutschen bei der Reparationskommission.

Später warst Du wieder in Paris, im Zweiten Weltkrieg, und hast dort die Finanzabteilung der Deutschen Militärverwaltung geleitet. Einerseits ein hohes Tier, angepasst, ein Mitläufer, andererseits eingeweiht in die Pläne des Widerstands. Du hast dicht gehalten, hast den Widerständlern geholfen. Du hast Dich offenbar gewandelt … doch davon ein andermal.

Jetzt will ich von 14/18 erzählen. Mit Deiner Hilfe. Denn Du hast einen ganzen Überseekoffer voller Tagebücher und Briefe hinterlassen. Die Deine Tochter, meine Mutter, in mühevoller Kleinarbeit aus dem Sütterlin übersetzt, die ich Stück für Stück abschreibe und mir einen Reim darauf zu machen versuche. Warum ich das mache? Du bist mein Großvater, ich hoffe, etwas von mir in Dir wiederzufinden, in der Art wie Du denkst und handelst, ich will mich dadurch besser verstehen. Außerdem hast Du in einer ungeheuer bewegten Zeit gelebt, in einer Zeit, in der sich so ziemlich alles verändert hat in unserer Gesellschaft. In der zwei Kriege stattgefunden haben, ohne deren Erfahrung unser Denken heute ein anderes wäre. Indem ich versuche, Dich zu verstehen, versuche ich auch unser Leben heute zu verstehen. Hast Du gehofft, dass sich mal jemand Deines schriftlichen Nachlasses annimmt? Ich glaube ja. Sonst würde ich mich da auch nicht rantrauen.

Also, pass gut auf, Großvater Detel, vielleicht habt ihr da oben ja W-LAN, hier kannst du lesen, was ich Dir zu sagen habe über Dein Leben. Und sei nicht böse, wenn ich manchmal etwas grob reagiere auf das, was Du gedacht und getan hast. Aber ich reiße mich am Riemen, denn ich weiß: ich bin nur so schlau, weil Du und Deine Generation das alles durchgemacht habt.