Warum Krieg?!

Lieber Großvater, es fällt mir unglaublich schwer, nicht rasend wütend zu werden auf Dich und Deine Zeitgenossen, dass „ihr“ diesen Krieg gewollt und (mit) verursacht habt. Ich weiß, es fällt leicht, heute – 100 Jahre später – klug darüber zu urteilen, was ihr alles falsch gemacht habt. Ich weiß nicht, wie ich drauf gewesen wäre, hätte ich damals gelebt. Vielleicht wäre ich genauso kriegsbegeistert gewesen wie die meisten von euch. Und nicht so aufgeklärt wie heute – dank der Erfahrung zweier Weltkriege. Also versuche ich mich zurück zu halten mit Kommentaren. Aber es ist schon erschütternd (und dieses Wort kommt sonst in meinem Wortschatz nicht vor), was alles zerstört wurde durch diesen schrecklichen Krieg. Zerstört wurden abertausende Leben, ganze Landstriche, Werte und Schätze, Vertrauen, und Fortschritt. Ihr wart damals auf dem besten Weg zur Demokratie – es gab das geheime und allgemeine Wahlrecht – wenn auch nur für die Männer – aber die machten davon immer mehr Gebrauch. Seit vielen Jahren hatte es in Europa keinen Krieg mehr gegeben. Die europäischen Fürstenhäuser waren miteinander verwandt, der innereuropäische Handel blühte. All das galt nichts in diesem gegenseitigen Gram, dem man sich Luft verschaffen wollte durch einen Krieg. Durch Rache, durch das blutige Zurechtweisen des Gegners auf seinen ihm zugewiesenen Platz in der Welt-Politik.

Ich halte euch immerhin zugute, dass ihr wohl nicht damit gerechnet habt, dass der Krieg so lange dauern würde. Ihr habt wohl eher gedacht, er dauert nur so lange wie der Kampf mit den Franzosen 1870/71 – also ein paar Monate. Der Sieg über die Franzosen hat euch selbstbewusst gemacht. Und euer wirtschaftlicher Erfolg. 1913 wart ihr Exportweltmeister! Und das, obwohl Deutschland ein eher kleines Land war – vor allem eines ohne Kolonien. Und das wolltet ihr ändern, ihr wolltet mindestens genauso groß sein wie die anderen, eine Weltmacht. Deshalb wolltet ihr nun auch expandieren, euch ausbreiten, ja, zur Not auch mit Hilfe des Militärs. Und das rüstete denn auch kräftig auf. Nachlesen kann man das u.a.  bei Wolfgang J. Mommsen (Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende eines bürgerlichen Zeitalters. Fischer Verlag 2004). Und wenn das Militär schon so stark war, dann konnte es ja auch gleich die politischen Differenzen aus dem Wege räumen, so dachtet ihr wohl, Großvater. Vor allem Deine Kreise – die gehobenen, konservativen Schichten – haben einen Krieg offenbar zunehmend begrüßt, aber nicht nur ihr. Die Künstler und Literaten konnten sich immer mehr vorstellen, dass ein Krieg das in ihren Augen erstarrte bürgerliche Kulturleben „reinigen“ würde.

Die anderen europäischen Staaten sahen eurem erstarkenden Selbstbewusstsein und vor allem eurem erstarkenden Militär mit Misstrauen zu. Auch sie rüsteten nun kräftig auf.

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Karte der Kriegsparteien des Ersten Weltkrieges:
Green: Entente
Orange: Mittelmächte
Gray: neutrale Länder
Quelle: Transferred from en.wikipedia to Commons. Urheber: Helmandsare, Joaopais, El Jaber, Aivazovsky

Schon seit einiger Zeit herrschte Unfriede zwischen den europäischen Staaten: hier waren die Deutschen, süchtig nach mehr Macht, einen Arm gönnerhaft um den Bundesbruder gelegt: Österreich. Auf der anderen Seite standen die, die gegen die Deutschen und ihre Sucht nach Macht waren: die Franzosen, die Briten und die Russen. Eigentlich waren die drei untereinander erbittert verfeindet wegen ihrer Kolonial-Kämpfe. Nun aber hielten sie zusammen, weil sie einen gemeinsamen Feind hatten.

Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, sie muss gewesen sein wie der nervöse Finger am Abzug eines Maschinengewehrs. Bei jedem etwas lauteren Geräusch zuckte der Finger, fast hätte er den Schuss ausgelöst. Bis es 1914 tatsächlich passierte.

Es war der 28. Juni, der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand war zusammen mit seiner Frau zu Besuch in Sarajevo, der Hauptstadt von Serbien. Er ließ sich im offenen Wagen durch die Stadt fahren. Sagte vielleicht etwas über die „frrrragwürdige Mode der Frrrauen“, und ärgerte sich darüber, dass sein Fahrer falsch abgebogen war. Der wollte gerade wenden, da sprang ein junger Mann hervor, ein 19-jähriger Schüler, das Gesicht verzerrt, in der Hand eine Waffe. Er schoss zweimal in den Wagen. Die Erzherzogin war sofort tot, der Thronfolger starb kurz darauf. Ein Schock. Und schnell war klar: Der serbische Schüler war nicht allein, er gehörte zu einem siebenköpfigen Terrorkommando junger nationalistischer Serben. Ihre Waffen  hatten sie vom serbischen Geheimdienst erhalten.

File:Gavrilo Princip captured in Sarajevo 1914.jpg

Gavrilo Princip captured in Sarajevo 1914. Quelle: originally serbian archives (Author: unknown)

 

Und das jetzt! Österreich, das heißt genauer: die österreichisch-ungarische Monarchie, war ohnehin schon nicht gut auf Serbien zu sprechen. Im österreichischen Parlament saßen einige, die gegen Serbien Krieg führen wollten, weil sie den serbischen Nationalismus bekämpfen wollten. Warum? Nun, Österreich ragte tief in den Balkan hinein, es musste Angst haben, dass Serbien zu stark wurde neben ihm, und ihm die Besitzungen auf dem Balkan streitig machte. Und das war gar nicht so unberechtigt: Serbien hatte in den Balkankriegen 1912 und 1913 sein Territorium verdoppelt und strebte einen unabhängigen südslawischen Staat an. Österreich war entschlossen, einen dritten Balkankrieg anzuzetteln, um seine Muskeln einmal ganz deutlich zu zeigen. In der Meinung, die anderen würden Angst davor kriegen.

Nach dem Attentat war die Empörung über den Mord vor allem an den dynastischen Höfen groß, und für die kriegswilligen österreichischen Parlamentarier ein leichtes, mit ihrer Forderung nach Krieg Gehör zu finden. Blieb nur die Sorge, dass Serbien seinen großen Bruder Russland zu Hilfe holen würde. Besser war es da, selbst auch mal vorsorglich beim großen Bruder anzuklopfen und um Hilfe anzufragen: Deutschland. Als Abschreckung gegenüber Russland. Österreichs alter Kaiser Franz Joseph fragte den deutschen Kaiser, Wilhelm II., und der sagte: jawoll, wir machen mit. Der Form halber versuchte man noch, auf politischem Wege den Streit zu lösen: Österreich forderte Serbien auf, all jenen seiner Bürger das Maul zu verbieten, die etwas gegen Österreich-Ungarn unternehmen wollten. Und es sollte eine gerichtliche Untersuchung des Attentats geben, an der auch österreichische Beamte mitmachen sollten. Ähnlich wie heute eigentlich, wenn internationale UN-Gesandte ein Auge auf etwas werfen sollen. Und was tat Serbien? Stemmte die Arme in die Hüften und weigerte sich, die Forderungen so zu erfüllen. Das war zu erwarten, denn das Ultimatum gegen Serbien war ohnehin so formuliert, dass Serbien es nicht annehmen konnte.  Es sollte nur die diplomatische Rechtfertigung eines bereits beschlossenen Waffengangs gegen das verhasste Großserbien abgeben. Das sage ich so selbstbewusst, weil ich mich wieder auf den großen Historiker Wolfgang J. Mommsen berufe (siehe oben). Österreich zog also den Säbel, und erklärte Serbien den Krieg.

Den Deutschen war das gar nicht so unlieb. Den Krieg gegen Serbien wollten sie als Testfall dafür benutzen, wie kriegswillig sich die Russen zeigten. Sollten die eingreifen, so hatte man einen wunderbaren Grund, selbst Krieg zu führen gegen Russland und gegen Frankreich. Und zwar jetzt und nicht später. Denn in zwei, drei Jahren würde Russland seine Aufrüstung beendet haben – dann lieber jetzt losschlagen, wo die Aufrüstung dort erst begonnen hatte.

Der Knopf war gedrückt, nun sprang die Maschinerie an und war nicht mehr zu stoppen: Österreich erklärte also Serbien den Krieg, die Russen sprangen den Serben bei, in der Hoffnung, die österreichische Monarchie zu schwächen. Deutschland stellte sich gegen die Russen – es erklärte ihnen am 1. August den Krieg und machte mobil. Das rief die Franzosen auf den Plan, die sich zu den Russen gesellten. Vergebens versuchte der deutsche Reichkanzler noch, wenigstens die Briten zur Neutralität zu bewegen. Sie kündigten an, im Falle eines Krieges den Franzosen beizustehen.

Datei:Erklaerung des Kriegszustandes 1914-2.jpg

Originaltext: „Offizielle Erklärung des Kriegszustandes an die Bevölkerung von Berlin „Unter den Linden“ am 31. Juli 1914 nachmittags 5 Uhr durch Leutnant von Viebahn, belgeitet von einer Abteilung Soldaten des Alexander-Garde-Grenadier-Regiments“)
Quelle: Hermann Rex: Der Weltkrieg in seiner rauhen Wirklichkeit. Das Frontkämpferwerk. Oberammergau 1926. S. 6.
Urheber: Hermann Rex (gest. 1937 in München)

Nun sahen sich die Deutschen und die Österreicher also zwei Fronten gegenüber: den Russen und den Franzosen. Man teilte sich auf: Die Österreicher sollten sich die Russen vorknöpfen, die Deutschen möglichst schnell in Frankreich einmarschieren, so war der Plan.

Der deutsche Reichskanzler von Bethmann Hollweg erklärte Frankreich den Krieg. Der so genannte „Schlieffen-Plan“ wurde hervorgekramt, sieh mal an, 9 Jahre alt war der schon, man hatte sich in Deutschland also schon vor einiger Zeit mit einem möglichen Krieg beschäftigt.

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Carte du Plan Schlieffen-Moltke tel que prévu pour l’année 1914. Quelle: Eigenes Werk. Urheber: Lvcvlvs. Wikimedia Commons

Der Plan sah vor, die Befestigungen in Ost-Frankreich zu umgehen und stattdessen durch Belgien zu marschieren. Innerhalb weniger Wochen wollte man Frankreich besiegt haben. Danach sollten die deutschen Truppen gen Osten marschieren, gegen die Russen kämpfen – am besten, noch ehe deren Mobilmachung abgeschlossen war. Es musste also alles ganz schnell gehen.

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Lübeckische Anzeigen, Nr. 385, Ausgabe A vom 2. August 1914. Quelle: Lübeckische Anzeigen vom 2. August 1914. Urheber: de:Wilhelm Dahms, chief of the company since 1906

In Deutschland verbreiteten die Politiker und die manipulierte Presse überall die Mär, das Deutsche Reich sei durch hinterhältige  Machenschaften der anderen Großmächte überfallen worden und müsse sich nun gezwungener- maßen verteidigen. Die Deutschen bekamen überall, in den Medien, an den Schulen und Hochschulen, aber auch in den Kirchen zu hören, dass Deutschland in der Stunde der Gefahr ihres Einsatzes und ihres Opfers bedürfe, und dass sie nicht beiseite stehen dürften. Mit der Folge, dass das Militär die Anzahl an Kriegsfreiwilligen kaum bewältigen konnte, die so schnell wie möglich an die Front wollten.

Die große Mehrheit der Bevölkerung stand hinter dem Kriegseinsatz. Sie gaben in großem Umfang ihr Geld für Kriegsanleihen – 98 Milliarden Reichsmark, damit konnten 60 % der Kriegskosten gedeckt werden. Geld, das verloren war. Nicht selten setzten damit die Menschen ihre letzten Ersparnisse ein. Überwältigt von Worten wie etwa denen des Literatur-Nobelpreisträgers Rudolf Eucken, der im August an der Uni Jena spricht: Ein Krieg erweise sich als Übel, wenn er aus niedrigen Beweggründen geführt werde – aus Hass, Neid, Ruhmsucht oder Erfolgsgier etwa. Aber als „Quelle sittlicher Stärkung“ bewähre sich der „Kampf eines ganzen Volkes für seine Selbsterhaltung und für die Wahrung seiner heiligsten Güter“. Der Krieg diene einer guten Sache, das zeige „die durchgreifende Läuterung und Erhebung“, die er an „unserer Seele“ bewirke. Wer will, kann das nachlesen, bei: Stephan Burgdorff und Klaus Wiegrefe (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Dtv 2004.

Zahlreiche deutsche Wissenschaftler beschworen die kulturelle Überlegenheit der Deutschen. Der Krieg wurde als eine Art biologische Notwendigkeit beschrieben. Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller drängten an die Waffen. Richard Dehmel, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Alfred Kerr, Hermann Hesse – der allerdings war so kurzsichtig, dass man ihn nicht ließ. Aber nicht überall war die Kriegsbegeisterung so groß wie bei den akademischen Städtern. In der Arbeiterschaft und auf dem Land löste der Kriegsbeginn Angst und Entsetzen aus. Und die realistische Einschätzung, dass wenn der Familienernährer an der Front steht, die blanke Not herrschen wird.

Am 28. Juli veranstalteten die Anhänger der SPD in Berlin und Hamburg etliche Demonstrationen gegen den Krieg. „Die Sozen machen antimilitaristische Umtriebe in den Straßen, das darf nicht geduldet werden“, notierte Kaiser Wilhelm (s. Burgdorff, Wiegrefe). Eigentlich war die Partei gegen den Krieg. Dass sie dann plötzlich doch Kriegskredite befürwortete, sollte die Partei in der nächsten Zeit förmlich zerreißen. Klar, die Stimmung im Lande war pro Krieg, da mussten auch die Mitglieder der SPD offenbar mitziehen.

Und Du, Großvater? Du warst immerhin 28 Jahre alt, als der Krieg los ging. Das heißt, sicher nicht so naiv wie viele andere kriegsbegeisterte Soldaten. Aber eines habt ihr alle geteilt: ihr wart ahnungslos, ob der Brutalität dieses Krieges.

Ihr seid in dem Glauben aufgewachsen, dass ein echter Mann seine und seines Landes Ehre auf dem Schlachtfeld verteidigen müsse. Und konntet euch nicht vorstellen, dass dort nicht mehr Mann gegen Mann, Säbel gegen Säbel, kämpfte, sondern eine Riesen-Maschinerie gegen die andere. Niemand hatte erwartet, dass das Gemetzel binnen vier Jahren 15 Millionen Tote fordern würde.

 

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