Student in München

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Die Rautenflagge des Freistaates Bayern seit 1971. Autor: Jwnabd

Lieber Großvater Detel, du gehst nun also zum Studieren nach München. Was du da studierst, dazu habe ich in deinen Briefen nur einen einzigen Satz gefunden: Ich studiere jetzt eifrig som. Institution des römischen Rechts. Was um alles in der Welt ist „som.“? Somalisch? Somnambul? Ein Mensch des Rechts möge mich darüber aufklären. Du jedenfalls, lieber Großvater, legst in deinen Ausführungen mehr Wert darauf, dass man ausführlich über dein Amüsement aufgeklärt wird. Über deine Wanderungen durch die Berge und die diversen  Brauhäuser bzw. die Niederungen der bayrischen Volkskultur: Da sitzen dann die braven Münchner Bürgersleut nach des Tages Arbeit und trinken ihre 4 bis 5 Maß. Und die bessere Hälfte trinkt ihre 1 bis 2, und die Kinder von 10 Jahren ab auch ihr Maß. Und von 6 Jahren ab ihre halbe Maß. Und niemand schimpft und niemand macht Radau. Nur wenn ein recht populäres Stück gespielt wird, dann singt alles mit und wenn es vorbei ist so erhebt sich ein  unendliches Freudengeheul und Geklatsche.

Da staunt der Norddeutsche. Und fühlt sich wohl. Großvater, du scheinst ein ganz und gar assimilierter Münchner Student zu sein: das Essen mit den  Kommilitonen im „Pschorr“ gehört dazu, und alles andere auch: Einige Häuser weiter im Bürgerbräu hat sich jetzt ein feindlicher Mittagstisch konstituiert, ein sehr komisches Verhältnis. Wir unternehmen vieles zusammen, besuchen uns auch von Zeit zu Zeit an unseren Tischen, nur essen wir nichts zusammen. Vor allem weil wir uns über die Zeit nicht einigen können. Und weil jeder sein Lokal für das bessere hält.

Hier hast du gleich Anschluss gefunden, ganz anders als damals in Lausanne, die Namen von ein paar Kumpels tauchen auch wieder auf. Gemeinsam erkundet ihr die schöne fremde Welt. Nach dem Abendbrot geht man dann in irgendein Konzert, Theater oder was es sonst schönes gibt, und trifft sich meistens nachher in irgendeinem Lokal, wo Musik ist. Es ist wirklich geradezu fabelhaft, wie viel interessantes es hier zu sehen und zu hören gibt. Irgendein verlockender Vortrag ist eigentlich jeden Abend.

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Prince Regent Luitpold of Bavaria with his son, grandson and great-grandson in the park of Nymphenburg palace. The caption reads, „The four generations of the House of Wittelsbach.“

Du magst also Wagners Parzifal, das Schloss Nymphenburg, und dessen französischen Park. In dem du den alten Prinzen bei einem täglichen Ritual ertappst: Beim Vögel füttern. Und kaum erblickte das zahlreiche Federvieh den Hofwagen, als es eiligst herbei kam. Die Enten hoch in der Luft, die Schwäne, so schnell sie konnten, auf dem Wasser. Der Wagen hielt, der Prinz mit einem Brotkorb unter dem Arm stieg aus und bald war er von einer bunten Menge von Vögeln umringt. Denen er das Brot hinstreute und zum Teil auch aus der Hand gab.

Und dann magst du Karneval, pardon, Fasching. Interessant, wie man das als adliger Student des Jahres 1907 so feiert: mit einem Ball im Hotel Vier Jahreszeiten, alle sind verkleidet als Inder. Und du, Großvater, versinkst also vor Wonne in den Anblick der Schleiertänzerinnen. Am nächsten Tag Frühschoppen und dann weiter bis in die Nacht feiern auf den Straßen, samt Konfettischlacht, Essen und Trinken im Augustinerbräu. Die Kapellen spielten meist patriotische Lieder, alles stand Hand in Hand auf den Tischen und sang mit Begeisterung. Sogar der Preußenmarsch wurde mit Begeisterung aufgenommen.

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