Militärdienst

Die Lust am Militärischen – für mich ist das wie Praline an Blutwurst. Zum Schütteln. Für Dich aber, Großvater Detel, war das offenbar komplett anders. Militär, das gehörte dazu, das war Pflicht und Kür zugleich, das war Kartoffelpüree UND Blutwurst und Praline, dazu reichlich Bier und Champagner, jedenfalls gehörte es offenbar absolut zum Leben eines jungen Mannes dazu, erst recht, wenn der ein „von“ im Namen trug. Denn so einer wie Du  wurde zum Herrn erzogen, zum Herrscher. Von deinen Eltern und vom Militär. In meiner Zeit, lieber Großvater, entwirft man Konzepte, wie man die Bundeswehr für Berufseinsteiger wieder attraktiver machen kann. Zu deiner Zeit, genauer im Jahr 1905, haben die Militärischen auch noch Geld dafür genommen, dass Du ein Jahr lang Dienst machst.

Vater Fortunatus muss zunächst mal schriftlich erklären: Dass ich bereit bin, ihn während seiner 1-jährigen aktiven Dienstzeit zu bekleiden, auszurüsten und die Kosten für Wohnung und Unterhalt zu übernehmen. Dann braucht es nur noch ein „Unbescholtenheitszeugnis“, heute würde man Führungszeugnis dazu sagen. Und das Abgangszeugnis der Uni Lausanne, in dem bescheinigt wird, „dass er zum Klagen keinen Anlass gegeben hat.“

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Kürassier-Kaserne in Pasewalk um 1900

Am 17.9. kommt aus Pasewalk die Antwort: „keinerlei Bedenken“. Pasewalk liegt in der Uckermark, gleich vor dem Ende der Welt. Ein guter Ort also, um sich in Ruhe auf den Ernst der Lage vorzubereiten, der neun Jahre später eintreffen soll.

Das Pasewalker Regiment, zu dem Du schon zwei Wochen später kommst, heißt „Kürassier-Regiment-Königin Pommersch. Nr. 2“ und ist – natürlich –  ein Kavallerieregiment. Junge Adlige, so habe ich gelesen, wären niemals auf die Idee gekommen, freiwillig zur Infanterie zu gehen. Zu gehen – weil man dort zu Fuß geht und nicht, wie bei der Kavallerie, hoch zu Ross sitzt. Wo doch schon Kaiser Wilhelm II. gesagt haben soll, das Auto sei eine vorübergehende Erscheinung, er glaube an das Pferd. Und was der Kaiser sagt, stimmt schließlich.

Du klagst über drückende Stiefel, aber ansonsten scheinst du doch ziemlich zufrieden zu sein mit deinem Los. Gut, Du musst ganz schön viel bezahlen. Für die Benutzung des Pferdes, für dessen Futter. Selbst für ein Buch über die Regimentsgeschichte, Pflichtlektüre für jeden „Einjährigen“, zweibändig. Du machst Stalldienst, reitest, turnst, schießt, läufst. Säufst. Solange ein Offizier anwesend ist, müssen die Soldaten-Azubis abends in der Mensa bzw. im „Kasino“ bleiben, da bleibt einem ja quasi nichts anderes übrig als zu trinken, stimmt’s?

Nur hin und wieder wird für den Ernstfall geprobt. Weckalarm früh morgens, zwei Stunden Sachen packen, man weiß ja nicht, wie viele Wochen man unterwegs ist in Feindesland. Um 1 Uhr stand das Regiment fertig zum Abmarsch in den Krieg. Auf dem kleinen Exerzierplatz wurde etwas hin und her geritten. Dann kam das Signal „Einrücken der Truppen“ und die ganze Mühe war vergebens gewesen. Es blieb nichts als die Freude des Auspackens.

Weniger harmlos sind die Felddienstübungen, vor allem für die Pferde. Die werden durch den Sumpf getrieben, bis sie fast ertrinken, danach geht’s im gestreckten Galopp zurück.

Zwischendurch ruhst Du Dich für zwei Tage in Schwerin aus bzw. genießt das festliche Leben. Es gibt zwei Bälle, es ist Karneval, und alle haben sich kostümiert – nur Du nicht. Du hast davon nichts mitbekommen. Wie sich Adlige zu der Zeit kostümieren? Als Diener, Burschen, Köche, Konditoren. Das ist die ultimative Gaudi: einmal in die Rolle der Arbeiter schlüpfen. Einmal fühlen, wie sich so eine Bäckerkluft anfühlt. Aber bitte schön, nicht dreckig machen! Tut mir leid, Großvater, aber als Tochter eines Arbeiterjungen muss ich da doch etwas sarkastisch werden.

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Anastasia Michailowna Romanowa, Großherzogin von Mecklenburg

Am nächsten Tag spazierst Du dann mit Tante Mieze um den Faulen See, und begegnest dabei – zufällig! – Schwerins High Society. Was soll ich sagen: hier, am Faulen See, trifft sich die Welt. Den Großherzog und sämtliche Cumberlands traf man auf Schritt und Tritt. Ich habe sie mindestens 6 Mal begrüßt.  Mit den „Cumberlands“ wird die Familie der Großherzogin gemeint sein. Prinzessin Alexandra von Hannover – pardon, so viel Zeit muss sein: Alexandra Louise Marie Olga Elisabeth Therese Vera von Hannover und Cumberland war die Tochter des Duke of Cumberland und eine Enkelin des Königs von Dänemark und hatte erst vor einem Jahr den Großherzog von Mecklenburg-Schwerin geheiratet. Der wiederum war der einzige Sohn der berühmten russischen Großfürstin Anastasia. Um Anastasia ranken sich viele Legenden, pikant scheint mir zu sein, dass die Großmütter von Anastasia und ihrem Ehemann Schwestern waren. Jedenfalls ging es damals bei Königs und Herzogs sehr polyglott zu. Wie schwierig muss es für sie gewesen sein, im Krieg zu einer bestimmten Seite zu halten!

Aber zurück nach Pasewalk. Auch bei Deinem Kürassierregiment bemüht man sich um festliche Stimmung. Kronprinz Wilhelm ist da – das heißt: der spätere Kaiser Wilhelm II. Der Kronprinzentag verlief programmmäßig und sehr hübsch. Wenn  man auch das Gefühl hatte, dass das 10 Minuten lange Paradestehen auf dem Markt in keinem Verhältnis stehe zu den wochenlangen Vorbereitungen, die dazu nötig gewesen waren.

Du kommst kaum noch nach Hause. Weshalb Du Mutter Adele um Zusendung von Bekleidung bittest. Schließlich wird es Frühling, da brauchst Du Deine grüne kurze Hose und die dünne grau karierte, und der Sommeranzug müsste mal aufgebügelt werden. Ich sag Dir was: die 20-jährigen von heute sind da praktischer, die tragen selten Gebügeltes. Und dann noch mehr von den ganz dünnen gelben Strümpfen. Von diesen brauche ich unsinnig viele (dann nimm besser andere, mein Lieber!). Da ich, wenn es schön warm und staubig ist, fast täglich ein paar zur Wäsche geben muss. Und da ich in der letzten Zeit schon viele Paare wegen irreparabler Zerrissenheit habe ausmerzen müssen. Wer hätte gedacht, dass extra-dünne gelbe Strümpfe im Militärdienst leicht zerreißen! Jetzt wüsste ich natürlich nur zu gerne, ob Mutter Adele ihrem Sohn den Vogel zeigt oder noch mehr von diesen spaßigen Strümpfen schickt.

Aber zu Deiner Ehrenrettung muss ich sagen: Du scheinst wenig Zeit zum Nachdenken zu haben, der Tagesablauf des Militärdienstes ist strikt, bietet aber genügend Raum zum Feiern. Ich fühle mich dabei äußerst wohl, und außer morgens halb 5 ganz zufrieden.

Und dann ist ja auch schon wieder alles vorbei, nach einem Jahr und unzähligen durchgerissenen dünnen gelben Strümpfen erhältst Du am 1. Oktober 1906 Dein Befähigungszeugnis. Darauf steht:

„Der einjährig freiwillige überzählige Unteroffizier Detlof von Oertzen des Ersten Escadron-Kürassier-Regiments-Königin Pommersch. Nr. 2 wird zum Reserveoffizieraspiranten ernannt. Derselbe verspricht nach seinen Leistungen und seinem Auftreten als Vorgesetzter bei weiterer Ausbildung ein brauchbarer Reserveoffizier zu werden.“

Na, das ist doch was.

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