Rumänien

Rumänien, auch so ein interessantes Land. Lange Zeit hat es da nur die beiden rumänischen Fürstentümer Walachei und Moldau gegeben. Aber mit der Zeit wuchs in den Rumänen so eine Art Nationalgefühl, samt Revolution 1848, nach westlichem Vorbild. Die Revolutionäre forderten die Vereinigung der Fürstentümer und die Abschaffung des russischen Protektorats. Auch die Rumänen im benachbarten, eigenständigen, Fürstentum Siebenbürgen wollten mehr Macht. Das Osmanische Reich und Russland aber setzten ihr Militär ein, um die Revolutionäre wieder zur Raison zu bringen. Die Idee des Nationalstaats Rumänien blieb dennoch, und sollte siegen, 1859 entstanden die „Vereinigten Fürstentümer der Moldau und Walachei“, zwei Jahre später gab man ihnen den Namen „Rumänien“.

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Greater Romania Historical Provinces.png Quelle: Transferred from en.wikipedia; transferred to Commons by User:Alterboy using CommonsHelper, Original uploader was Andrei nacu at en.wikipedia

Nun tritt also Rumänien den Russen in ihrem Kampf bei. Russland rechnet sich gute Chancen für den Kriegsverlauf aus, wenn Rumänien mitmacht. Rumänien liegt im Dauerklinsch mit Österreich-Ungarn, der Krieg gegen den Feind kommt dem Land also nicht unrecht. Ziel ist, Österreich-Ungarn zu besiegen und dabei gleich mehrere Landstriche zu erobern – Gegenden wie Siebenbürgen, in denen die rumänische Bevölkerung ohnehin die Mehrheit bildet. Bloß sind  die rumänischen Truppen zwar zahlenmäßig stark, aber schlecht ausgerüstet und mit unorganisierter Führung.

Amtliche Kriegs-Depeschen. 1. Band. Nationaler Verlag, Berlin, o.A. Internet Archive. Urheber: Alb. Mayer

Amtliche Kriegs-Depeschen. 1. Band. Nationaler Verlag, Berlin, o.A. Internet Archive. Urheber: Alb. Mayer

Im Spätsommer 1916 dringt die rumänische Armee in Siebenbürgen ein (auch bekannt als Transsilvanien), damals Teil von Österreich-Ungarn. Es macht damit seinem Gebietsanspruch auf diesen schönen Landstrich geltend, als Preis für den Kriegsbeitritt auf Seiten der Entente: der Russen, Englands und Frankreichs. Rumänien erklärt Österreich-Ungarn den Krieg, dem Bündnispartner Deutschlands. Einen Tag später erklärt Deutschland Rumänien den Krieg. Eilig wird auf Seiten der Deutschen eine Armee zusammengestellt, die 9. Armee, die zuvor eigentlich schon aufgelöst worden war, sie wird nun unter den Befehl des ehemaligen Kriegsministers und Chef der Infanterie Erich von Falkenhayn gestellt, um die Rumänen wieder aus Siebenbürgen zu vertreiben. Und auch Du gehörst nun zu dieser 9. Armee. Vorläufig sitzt Du noch im Zug, und bist einfach nur glücklich, aus der Ukraine raus zu sein. Du wirst noch glücklicher werden im Laufe dieses 11. Oktober, ja Du wirst „eine der schönsten Stunden meines Lebens“ erleben. Um 5 Uhr morgens, der Zug rollt durch Schlesien (heute Polen), wirst Du aus dem Schlaf geweckt „und mir ein schriftlicher Befehl in die Hand gedrückt. Darin steht, der Zug würde um 9 Uhr vormittags in Pleß sein. Dort werde S.M. der Kaiser die Schwadron besichtigen.“ (Im Schloss von Pleß hatte Wilhelm II für einige Zeit sein „Großes Hauptquartier“ eingerichtet: die Zentrale der obersten militärischen und später auch politischen Führung des Kaiserreichs.)

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German Großes Hauptquartier, Generalfeldmarschal Paul von Hindenburg, Kaiser Wilhelm II, General Erich Ludendorff im Schloss Pleß um Jan. 1917. Quelle: Grosser Bilderatlas des Weltkrieges, Urheber: Bruckmann, F. Gefunden auf Wikimedia Commons

„Dazu auf einem Zettel ein Glückwunsch von Knobelsdorf, der mir gleichzeitig einen Liter Terpentin verehrt zum Reinigen meiner Schwadron. Ich war erst etwas sprachlos, aber nun hieß es vor allem die 4 Stunden Bahnfahrt dazu benutzen, meine Leute leidlich instand zu setzen. Es hob also ein großes Rasieren und Waschen an (mit Terpentin?), und als mein Zug unter den Klängen der Musikkapelle des großen Hauptquartiers in Pleß einlief, war alles schön in Schwung. Oberst von Oelsen von der Garde du Corps empfing mich und instruierte mich schnell über das Festprogramm. Ich hatte noch gerade 10 Minuten Zeit, um in einer Seitenstraße „alles einmal durchzumachen“, dann zog ich mit meiner Streitmacht von 130 Mann auf den Schlosshof.“

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Schloss Pleß in Polen. This is a photo of an object of cultural heritage inscribed in the registry of the Silesian Voivodeship with number A/535/65 z 7 II 1965, 2012. Urheber: Tomasz2706. Gefunden auf Wikimedia Commons

„Das Bild war herrlich. Köstlicher Sonnenschein, der Park in voller Herbstpracht. General von Plessen empfing mich. Ich baute die Schwadron (zu Fuß natürlich! Die Pferde waren im Zug geblieben) gegenüber dem Schlossportal auf, die Musik auf dem rechten Flügel. (…) Es dauerte 5 Minuten, dann kam der Kaiser mit General von Lyncker. Ich ließ präsentieren, und während die Musik den Präsentiermarsch spielte, meldete ich S.M. die Schwadron alleruntertänigst zur Stelle. Er drückte mir mit seiner riesigen Rechten die Hand und sagte: „Na, ihr seid wohl froh, dass ihr da oben weg seid?“ was ich nur aus vollem Herzen bejahen konnte. Dann kam das übliche: „Guten Morgen Kürassiere!“ und „Guten Morgen Eure Majestät!“ Zu mir sagte er noch: „Es geht nach Süden, Eure Lanzen sollen endlich mal wieder zu Ehren kommen.“ Dann schritt er die Front ab, jeden Kürassier einzeln musternd. Ich mit ihm, Plessen und Lyncker hinterher. Nun ließ ich Karabiner bei Fuß nehmen, der Kaiser trat 40 Schritt vor die Front, ich neben ihn, und er hielt eine kurze sehr hübsche Ansprache.“ Und ich kann natürlich nicht umhin, wenigstens einen kleinen, bemerkenswerten Ausschnitt aus dieser Rede wieder zu geben – Du hast alles hinterher aus dem Gedächtnis niedergeschrieben:

„Ihr habt euch bewährt, wo euch der oberste Kriegsherr hingestellt hat. Im Anfang im Westen habt ihr mit der Lanze in der Hand tapfer gefochten, später im Osten habt ihr den Ehrenschild von Hohenfriedberg im alten Glanze erhalten. Mancher brave Offizier und Kürassier liegt unter dem grünen Rasen oder verwundet in der Heimat. Jetzt habe ich dem Regiment eine neue Aufgabe gestellt. Auf neuem Kriegsschauplatz werdet ihr einem neuen Feinde gegenüber treten. Er ist listig, verschlagen und heimtückisch, aber feige. Ich weiß, wo ich euch hinstelle, ihr euren Mann stehen werdet. Pflückt eurer alten Standarte neue Lorbeeren. Der Wille zum Sieg bedeutet den Sieg.“

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Wilhelm II. on picture postcard, 1905. Quelle: http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/95007746/index.html, Urheber: Reichard und Lindner; publisher: Gustav Liersch & Co., gefunden in Wikipedia

Ein Schauspiel das ganze, in der Hauptrolle der Kaiser, in der Nebenrolle Detel mit seinen Männern. Mehr als das Repräsentieren ist dem Kaiser aber auch nicht gegönnt. Die militärische Leitung haben hier die Generäle, und nicht der Kaiser. Der es dafür umso lauter krachen lässt. Alles ist vorhanden, inklusive schönem Bühnenbild, martialischen Kostümen, Musik und dramatischem Pathos. Die Deutschen lieben das im Jahr 1916. Noch. Sie lieben ihren Kaiser für sein Brimborium. Noch. Zwei Jahre später ist ihnen die Lust daran vergangen.

„Zum Schluss eine kurze energische Handbewegung zu mir hin, ich trat also 3 Schritte vor, ließ präsentieren, nahm dann Front zum Kaiser, und brachte, nach Leibeskräften schreiend, ein dreifaches Hurra auf den Allerhöchsten Kriegsherrn aus. Als Heil dir im Siegerkranz verklungen war, befahl der Kaiser Parademarsch. Schnell formierte ich alles hinter der Musik, und unter den Klängen des Hohenfriedberger Marsches führte ich mein Fähnlein am Kaiser vorbei. Schließlich konnte ich noch die Offiziere zusammen rufen und jeden einzelnen dem Kaiser vorstellen. Mit jedem sprach er ein paar Worte, erkundigte sich noch lebhaft und eingehend nach dem Zustand der Pferde, und endlich waren wir mit den Worten: „Na Jungens, dann Weidmannsheil!“ entlassen.“

Die Jungens sind beseelt, kriegen sie doch auch noch eine Pulle Portwein: die Offiziere, und eine halbe Flasche Rheinwein: das Fußvolk. Das Hauptquartier spendiert ein gutes Frühstück, und ab geht’s wieder – Halt! Ich hab den Hohenfriedberger Marsch vergessen, der muss natürlich nochmal gespielt werden – aber jetzt, jetzt geht’s wieder in den Zug.

Die Kaiser-Rede ein Jahr später

Die Kaiser-Rede ein Jahr später

Während ihr unterwegs seid in Richtung Rumänien, widmen wir uns nochmal kurz dem Kaiser. Die Historiker heute wissen – und damals wussten es  auch die wichtigen Kriegsherren – dass dieser Mann während des ganzen 4-jährigen Krieges nicht in der Lage war, militärische Operationen selbst zu bestimmen. Er war zwar ständig im jeweiligen Hauptquartier der deutschen Armee, aber ansonsten weder intellektuell noch psychisch in der Lage, die Geschicke des Landes zu lenken. Er war vielmehr labil und oft geistig in irgendwelchen Wunschvorstellungen unterwegs – fernab der Realität. So schrieb er etwas später an den Rassenideologen Chamberlain: Der Krieg sei „ein Kreuzzug gegen das Böse – Satan – in der Welt, von uns geführt als Werkzeuge des Herrn … Gott will diesen Kampf … Er wird ihn leiten, um den Ausgang brauchen wir nicht zu sorgen, wir werden leiden, fechten und siegen unter Seinem Zeichen! Dann kommt der Friede, der deutsche, der Gottes-Friede, in dem die ganze befreite Welt aufatmen wird“. Das schreiben Stephan Burgdorff und Klaus Wiegrefe (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Dtv 2004.

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Rumänien: Paraul Hasdate (Hasdate stream). 8 September 2006. Urheber: Cristian Bortes. Quelle: Flickr

Dein Zug fährt immer die Donau entlang, durch Ungarn. Nach vier Tagen ist das Ziel erreicht, Rumänien. Ihr marschiert ins Siebenbürger Bergland. Nach der winterlichen Strenge der Ukraine jetzt auf einmal Hochsommer. „Das Auge trinkt förmlich die Schönheit der Landschaft. Südlich ragen die 2000 Meter hohen Zacken des Hatseger Gebirges, das wir wohl in wenigen Tagen überqueren werden, in den Himmel empor. Alle Menschen sind freundlich, auch wenn man sie nicht verstehen kann. Überall große wohlhabende Dörfer mit ziemlich sauberen Häusern.“

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Women’s clothing in the Olt River valley. 1906 or earlier. Quelle: Project Gutenberg Literary Archive Foundation: De Aarde en haar Volken, Jaargang 1906. HAARLEM, H. D. TJEENK WILLINK & ZOON. Urheber: unbekannt

Du wirst nicht die Siebenbürger Sachsen gemeint haben, obwohl man die wahrscheinlich auch eher schwer versteht. Aber immerhin sind das Deutsche, eine deutschsprachige Minderheit, die auch heute noch da lebt – allerdings sind die meisten inzwischen ausgewandert, nach Deutschland oder noch weiter in den Westen.

Du quartierst Dich selbst in der Nähe von Hatzeg in einem Gutshaus ein, und genießt es, mal wieder ein wenig Gutsherr spielen zu dürfen. „Nach unserer Ankunft habe ich einige von den schönsten Rosen geschnitten. Und steckte alle Augenblicke meine Nase hinein. (..) Dann habe ich eine gute halbe Stunde auf meinem Flügel Klavier gespielt. Jetzt habe ich einen Teppich unter den Füßen. Hübsche Bilder schmücken die Wände und ich sitze auf einem bequemen Polsterstuhl. Du kannst dir keine Vorstellung machen, wie man alle diese kleinen Kulturgenüsse zu schätzen lernt, wenn man 4 Monate lang nur unter Wanzen, Flöhen, Soldaten und Schweinen in Menschengestalt vegetiert hat.“

Du bist überwältigt von der Landschaft, dem Hatzeger Gebirge, der kleinen Stadt Hatzeg oder Hateg, die tief im Tal liegt, umsäumt von Wald. „So erinnerte sie lebhaft an das deutsch-belgische Grenzgebirge, das wir am 5. August 1914 von Aachen aus durchbrausten. Damals war die einzige Losung, die Geltung hatte: vorwärts. Was liegen blieb, blieb liegen, fast den ganzen Tag über ging es Galopp über die felsigen Chausseen, so manches von unseren besten Pferden hat sich von diesem ersten Kriegsmarsch nie wieder erholt. Was schadet denn das. Der Feldzug musste ja in drei Monaten entschieden sein. Jetzt haben wir gelernt, was Pferde aushalten können, und was Pferde wert sind. Bei der ersten Serpentine wurde hübsch artig abgesessen und dann geführt. Anderthalb Stunden lang über die Passhöhe hinweg, bis wir in Hatzeg wieder waagerechten Boden unter den Füßen hatten.“

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Piatra Galbenei, Apuseni Mountains, Bihor county, Romania, 17 September 2005, Quelle: img_3679, Urheber: Razvan Antonescu from Cluj Napoca, Romania

Viele Häuser Hatzegs stehen leer, die Bewohner sind vor den rumänischen Truppen geflohen, die sich nun auf die Gebirgskämme zurückgezogen haben. „Die vielen leerstehenden anständigen Häuser verlocken stark zum Mitnehmen des Nötigsten.“

Wenn sich schon ein Offizier kaum zurückhalten kann, einzustecken, was ihm nicht gehört – wie leer müssen dann die Häuser  sein, nachdem normale deutsche Soldaten dort drin hausten?

Es ist kalt geworden, die Häuser müssen beheizt werden, auf den Bergen liegt der erste Schnee. Und es ist mal wieder Jagdzeit. Ein Hase, ein Gamsbock, selbst ein Bär müssen dran glauben. „Ganz boshafte Menschen behaupten, die höheren Stäbe gingen auf Bärenjagd. Entweder, um doch auch einmal in Lebensgefahr zu kommen oder weil sie eine Bärenhaut brauchen, um sich darauf zu legen.“

Aber leider bleibt für niemanden die Zeit, sich darauf zu legen. Die deutschen Truppen wagen den Angriff auf die rumänischen Truppen. Dazu müssen sie hoch ins Gebirge. Für alle wird es „so ziemlich das anstrengendste, was wir bisher erlebt haben.“

Alles wird den Berg hochgeschleppt: Feldküchen und Geschütze. 1600 Meter hoch, immer steil bergauf. „Das eine Geschütz stürzte, als es fast drüben war, mit Bespannung und Mannschaft, 200 Meter tief ab, und konnte erst zwei Tage später mit Winden herauf befördert werden. Unsere Pferde zitterten an allen Gliedern vor Anstrengung. An Reiten war nicht zu denken. Auf der Höhe war es kalt und neblig. Fünf Stunden brauchten wir zum Aufstieg, sieben zum Abstieg. Von der Grenze ab war guter Weg. Die Rumänen hatten ihn im Frieden, aber erst in diesem Frühjahr gebaut, um darauf in Siebenbürgen einzufallen.“ Ich weiß leider nicht genau, wo Detel mit seiner Truppe genau ist, an welcher Grenze er sich da befindet – der zu Moldau, zur Großen oder Kleinen Walachei? „Den Austritt des Weges in die Ebene sperrt ein vielleicht noch 300 Meter hoher Hügel. Ihn hatten die Rumänen besetzt. Und dort sitzen sie heute noch. Kurz und gut, wir haben unsere Aufgabe nur zur Hälfte erfüllen können. Wir sind hinüber, aber nicht hinein gekommen.“

Da habt ihr die Rumänen wohl unterschätzt. Sie verteidigen ihre Stellung vehement. An ein weiteres Vordringen der Deutschen ist nicht zu denken. Zumal ihr euch eine Panne geleistet habt: nicht mehr Proviant als für zwei Tage mitgenommen zu haben. „Den Wagen mitzunehmen war unmöglich. Die Feldküchen hatten wir in Vorder- und Hinterwagen zerlegt. Und diese mit je vier Pferden unter fabelhafter Mühe hinüber geschafft. Zwei Tage lang hatten wir gar nichts zu essen. Die Pferde nur Heu und Buchenlaub. Dann kam kärglicher Proviant auf Tragpferden.“ Und dann kommt auch noch Dauerregen. „Der noch ganz gute Weg auf rumänischer Seite verwandelte sich in einen lehmigen Sumpf. Der steile Hang nach Siebenbürgen wurde fast unpassierbar. Da musste der sehr schmerzliche aber wohl unvermeidliche Entschluss gefasst werden, die Pferde, ehe es zu spät war, über das Gebirge zurück zu schicken.“

Du siehst das Land unter Dir liegen, in das ihr einfallen wollt, und kommst nicht hin. Die Soldaten liegen hungrig im kalten Matsch und werden beschossen. „Ich lag natürlich etwas hinter der Höhe, so dass nichts passieren konnte. Aber eine irgendwie abgeschlagene Kugel fiel mir doch plötzlich auf den Mantel. Und blieb darauf liegen.“

Nachts ziehst Du mit den Pferden los, um sie wieder zurück zu bringen. Bei strömendem Regen. „Den Weg zu beschreiben ist einfach unmöglich. Kilometerweit Dreck bis an die Knie. Darunter ganz unregelmäßiger Felsgrund. Bald trat man ganz tief durch, bald auf spitze hochragende Steine. Bis zum Gürtel hinauf waren wir alle mit dickem Lehmkleister überzogen. Alles andere durch und durch nass von oben.“

Telegramm

Du kommst samt Pferden glücklich an, holst Dir nur einen leichten Schnupfen. Aber mit dem nächsten Telegramm geht die Bitte nach Hause raus, per Eilfracht Wintermantel und wollenes Unterzeug zu schicken. Hoffentlich kommt es noch an, denn es geht schon wieder weiter, die Rückeroberung von Siebenbürgen können sich später die Österreicher, nicht die Deutschen, auf die Fahnen schreiben.

Ihr habt jetzt ein anderes Ziel genannt bekommen: Bukarest. Die Hauptstadt Rumäniens.

Im Eiltempo geht es quer durch Rumänien hindurch, durchs Gebirge ins Flachland, an die Donau und weiter. Jeden Tag macht die Schwadron Gefangene. „Die meisten sind froh, in Gefangenschaft zu geraten. Der Krieg ist unpopulär.“ Der rumänische Gegner ist schwach, Stück für Stück erobern die Deutschen Gelände. Verlieren dabei allerdings selbst viele Männer. „Die Schwadronen sind recht zusammen geschmolzen.“ Kämpfend geht es immer vorwärts, Tag und Nacht, zu Pferd oder zu Fuß, ohne rückwärtige Verbindungen. Craiova wird eingenommen. Schwester Leni gratuliert dazu brieflich, und hofft auf entsprechende Siegerstimmung beim Eroberer. Du schreibst bedauernd zurück: „Wenn man auch noch so Großes erreicht und erlebt hat, die kleinen täglichen Sorgen ums eigene Wohl bzw. das der Leute und Pferde überwiegen doch meist. Wenn ich nach dem erfolgreichsten Tage meine Pferde bei null Grad und schneidendem Nordost die ganze Nacht über draußen stehen lassen muss und sicher bin, am nächsten Tage wieder so und so viel neue Lahmheiten nur vom Rheumatismus vorzufinden, so bleibt schon nicht viel Raum für Siegerlaune.“ Dafür aber ausreichend Siegergier. „Hoffentlich gelingt es uns nun, endlich einmal dieses Land nach allen Regeln der Kunst auszusaugen.“ Du wirst noch genug Gelegenheit dazu bekommen, genau dies zu tun. „Die Weizenvorräte sind enorm, ebenso ist Mais, der ja als Pferdefutter vorzüglich ist, in großen Mengen vorhanden. Die Wintersaaten stehen gut. (…) Die Bevölkerung ist sehr unzivilisiert. Das ganze Land ist aber offenbar im riesigen Aufschwung begriffen. Umso größer die Sünde, ein solches Land im Kriege zu stürzen. Was an Gebäuden gut ist, ist nun ganz neu aus den letzten zehn Jahren. Die Städte sind voll von ganz umgebauten Villen und Prunkpalästen. Fast jedes Dorf, das sonst nur stark verlauste Panjebuden hat, hat eine ganz neue schöne luftige Schule, wie wir sie in Mecklenburg nicht so prächtig bauen würden.“

Am 6. Dezember erobern deutsche Truppen die Hauptstadt Bukarest.

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General v. Mackensen in Bukarest, Parade über die einziehenden österr.- ung. Truppen, 1916. Fotograf: unbekannt. Quelle: Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild (Bild 183)

Du bist nicht dabei, ihr kommt erst zwei Tage später hier an, und quartiert euch nordöstlich davon ein. Die Rumänen verweigern die Kapitulation. Die rumänischen Truppen ziehen sich bis in die Moldau im Nordosten Rumäniens zurück. Die deutschen Truppen drängen hinterher, bis an den Fluss Sereth. So schnell dringt ihr vor, dass eure Versorgung nicht mehr nachkommt. Die Pferde können nicht beschlagen werden, Kleidung ist auch kaum noch vorhanden. „Ich habe als einziges Gepäck seit vier Wochen meine große Packtasche mit, da kann man natürlich nur die nötigste Wäsche und ein paar Reserve-Schuhe mitnehmen.“

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Romanian soldiers during a training exercise. Fotograf: unbekannt. Quelle: Photos of the Great War (http://www.gwpda.org/photos/greatwar.htm#TOP)

Auf dem Weg Richtung Sereth müsst ihr ziemlich viele russische Abwehrer besiegen. Denn die Russen haben Verstärkung nach Rumänien gebracht. Fast ein Viertel der gesamten russischen Streitkräfte steht Ende 1916 in Rumänien. „Der Russe“ „hat fabelhaft viel zugelernt im Laufe des Krieges. Und es wird schwere Kämpfe kosten.“ Der Nutzen solcher Kämpfe ist für Dich zumindest im Moment nicht ersichtlich. Wie Du überhaupt erstaunlich offen Zweifel an dem ganzen Vorhaben äußerst, wenn auch indirekt. „Viele Menschen sind der Meinung, dass wir so viele Erfolge erringen können, wie wir wollen. Der Ausgang des Krieges würde doch dank der Bethmannschen Politik und der durch die Nahrungssorgen allgemein gedrückten Stimmung ein für uns ungünstiger sein. Dass Bethmann wohl einige große Fehler gemacht hat, glaube ich gern. An Rumänien hätte zum Beispiel sicher schon im vorigen Jahr ein Ultimatum gestellt werden müssen. Aber die meisten Menschen schimpfen über Sachen, die sie absolut nicht übersehen können.“
Theobald von Bethmann Hollweg ist der Reichskanzler zu der Zeit. Ein Konflikt mit der Obersten Heeresleitung führ ein Jahr später, 1917, zu seiner Entlassung.

Du bist ganz schön ausgelaugt. Deinen letzten Urlaub hast Du vor 10 Monaten gehabt. Das ist zu lang, findet der ansonsten so kriegstreue Soldat Detel. „Und es ist entschieden falsch, dass nicht strikt an der ursprünglichen Vorschrift der Beurlaubungen nach 6 Monaten festgehalten wird. Man behielte dann mehr Spaß an der Sache.“

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Sereth, at Mirceşti (Iaşi county), Romania, 2009. Urheber: Cezar Suceveanu. Gefunden auf Wikimedia Commons

Mittlerweile bist Du ganz im Osten der Walachei angekommen, und staunst mal wieder über die Fremdartigkeit des Volkes hier. Du hast Dich in einem Bauerndorf einquartiert, in den Häusern wird auf offenem Feuer gekocht. „Die Einrichtung des Herdes  ist in dieser Gegend noch ganz unbekannt.“ Ebenso wenig fortschrittlich sind die Einwohner in der Bestellung ihrer Felder. „Künstliche und natürliche Düngung sind unbekannt, ebenso Drainagen, oder auch nur die einfachste Art der Entwässerung durch Gräben.“ Da ist er wieder, der Blick des Kolonialherrn. „Man müsste hier, wenn Chausseen und Bahnen in genügender Menge gebaut würden, in intensiver Bodenausnutzung enorme Geschäfte machen können.“

Vorläufig bist Du aber genauso von allem Weltgeschehen abgeschnitten wie die Bewohner. Keine Zeitungen dringen bis in dieses östliche Ende Europas vor, nicht einmal der offizielle Kriegsbericht hat es bis hierhin geschafft. Man stelle sich vor, die Kriegsherren hätten sich auf ein Kriegsende verständigt, nur im Osten der Walachei kämpft man weiter, weil man nichts mitbekommen hat.

Doch, etwas dringt doch durch: das Friedensangebot des deutschen Kaisers. Rumänien sei besiegt, hat man ihm signalisiert. Damit müsse doch nun mal gut sein mit dem Krieg. Vor allem die Österreicher drängen den Kaiser dazu, ein Friedensangebot zu machen. Hier ist es:

„Der furchtbarste Krieg, den die Geschichte je gesehen hat, wütet seit bald zwei und einem halben Jahr in einem großen Teil der Welt. Diese Katastrophe, die das Band einer gemeinsamen tausendjährigen Zivilisation nicht hat aufhalten können, trifft die Menschheit in ihren wertvollsten Errungenschaften. Sie droht, den geistigen und materiellen Fortschritt, der den Stolz Europas zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bildete, in Trümmer zu legen. Deutschland und seine Verbündeten, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei, haben in diesem Kampf ihre unüberwindliche Kraft erwiesen. Sie haben über ihre an Zahl und Kriegsmaterial überlegenen Gegner gewaltige Erfolge errungen. (…) Zur Verteidigung ihres Daseins und ihrer nationalen Entwicklungsfreiheit wurden die vier verbündeten Mächte gezwungen, zu den Waffen zu greifen. (…) Sie gehen nicht darauf aus, ihre Gegner zu zerschmettern oder zu vernichten. Getragen von dem Bewusstsein ihrer militärischen und wirtschaftlichen Kraft, und bereit, den ihnen aufgezwungenen Kampf nötigenfalls bis zum äußersten fortzusetzen, zugleich aber von dem Wunsch beseelt, weiteres Blutvergießen zu verhüten und den Gräueln des Krieges ein Ende zu machen, schlagen die vier verbündeten Mächte vor, alsbald in Friedensverhandlungen einzutreten. Die Vorschläge, die sie zu diesen Verhandlungen mitbringen werden, und die darauf gerichtet sind, Dasein, Ehre und Entwicklungsfreiheit ihrer Völker zu sichern, bilden nach ihrer Überzeugung eine geeignete Grundlage für die Herstellung eines dauerhaften Friedens. Wenn trotz dieses Anerbietens zu Frieden und Versöhnung der Kampf fortdauern sollte, so sind die vier verbündeten Mächte entschlossen, ihn bis zum siegreichen Ende zu führen. Sie lehnen aber feierlich jede Verantwortung dafür vor der Menschheit und der Geschichte ab.“ (Nachzulesen bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Friedensangebot_der_Mittelm%C3%A4chte)

An der Ostfront sorgt dieses „Friedensangebot“ für höchste Verwirrung. Was bezweckt die Regierung damit? Ist es bloß ein politischer Schachzug? „Das wäre ein nicht zu verantwortliches Spielen mit der Stimmung der Truppen. Denn dass in weiten Kreisen des Heeres ungeheure Friedenshoffnungen erweckt sind, steht fest.“

Nun, heute weiß man, was sich die deutsche Regierung unter Kanzler von Bethmann Hollweg von dem Friedensangebot verspricht: dass es die Entente auseinander sprengt, dass es nicht nur neutrale Staaten milde stimmt, sondern auch die zutiefst deprimierte deutsche Bevölkerung. Denn bei Ablehnung des Friedensangebots wären ja dann die Gegner schuld an einer Fortführung des Kriegs. Die Entente nimmt das Angebot entsprechend nicht ernst. Ende des Jahres antwortet sie, es sei eine „Anregung ohne Bedingungen“, der „Vorschlag erscheint weniger als ein Friedensangebot denn als Kriegsmanöver.“ Vor allem, weil Deutschland keinerlei Vorschläge gemacht hat, welche besetzten Gebiete es im Falle des Friedens räumen würde. Die Antwort wird Kaiser Wilhelm II ein Genuss gewesen sein:

„Im Verein mit den Mir verbündeten Herrschern hatte ich unseren Feinden vorgeschlagen, alsbald in Friedensverhandlungen einzutreten. Die Feinde haben Meinen Vorschlag abgelehnt. Ihr Machthunger will Deutschlands Vernichtung. Der Krieg nimmt seinen Fortgang! Vor Gott und der Menschheit fällt den feindlichen Regierungen allein die schwere Verantwortung für alle weiteren furchtbaren Opfer zu, die Mein Wille euch hat ersparen wollen. In der gerechten Empörung über der Feinde anmaßenden Frevel, in dem Willen, unsere heiligsten Güter zu verteidigen und dem Vaterlande eine glückliche Zukunft zu sichern, werdet ihr zu Stahl werden. Unsere Feinde haben die von Mir angebotene Verständigung nicht gewollt. Mit Gottes Hilfe werden unsere Waffen sie dazu zwingen!“ (Quelle: s.o.)

Du glaubst ohnehin nicht an Frieden. „Weil ich nicht glaube, dass Russland sich schon jetzt endgültig besiegt erklären kann.“ Du fragst Dich allerdings, was ihr hier noch sollt. Du und Deine Kavallerie-Soldaten stehen den Infanteristen nur im Weg herum und nehmt ihnen die Quartiere weg, und die Wege sind derart aufgeweicht, dass kein Nachschub mehr durchkommt. Wieder werden Stellungen befestigt und Schützengraben gegraben.

„Bonne nouvelle année Happy new year“ von Unknown early 1900s – Scan old postcard. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bonne_nouvelle_ann%C3%A9e_Happy_new_year.jpg#mediaviewer/File:Bonne_nouvelle_ann%C3%A9e_Happy_new_year.jpg

Das Weihnachtsfest fällt entsprechend bescheiden aus, sicherlich gibt es das auch nur für euch Offiziere, ihr habt sogar einen Weihnachtsbaum, es gibt „Gans, Wein und Berliner Pfannkuchen, dazu eine Flasche Mumm und eine Flasche Pommery, die lange für diesen Zweck aufgespart waren.“ Pommery, das war zu Deinen Zeiten die bekannteste Sorte Champagner. Am ersten Feiertag ist Gottesdienst, „währenddessen dauernd sehr schwere Geschützfeuer an der Front herüber klang.“ 

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