1924

Am 1. Januar 1924 war ich nachmittags zum Tee bei General von Boehn eingeladen und sah dort wieder die Tochter des Hauses Victoria von Blücher, die ich im vorigen Sommer in Flottbek bei Rückers kennengelernt, in Pötenitz kurz wiedergesehen und am 30. Dezember bei Salzas getroffen hatte. Eine große, stille Hoffnung hatte ich von Anfang an mit diesem Menschen, eine Hoffnung, deren Verwirklichung mir vorläufig in so nebelhafter Entfernung zu liegen schien, dass ich es nicht wagte, ihr bei mir selber Raum zu geben oder gar ihr gegenüber etwas davon durchblicken zu lassen. Es folgten Wochen intensivster Arbeit. Immer klarer wurde es mir, dass diese Art des Daseins mir auf die Dauer keinerlei Befriedigung geben konnte. Ich sah voraus, dass ich nach einigen Jahren als müder, einsamer Mann erkennen würde, dass ich mit dem Pfunde, was Gott mir gegeben, nicht so gewuchert hatte, wie es meine menschliche Pflicht gewesen wäre. Der Entschluss, das Ruder meines Lebens in irgendeiner Weise herumzuwerfen, stand fest. Nur die Art und Weise, wie dieses geschehen sollte, war vorläufig noch unklar. Ende Februar hatte ich eine ziemlich heftige Grippe zu überstehen, während deren mich meine Wirtsleute, besonders Fräulein Rösing rührend pflegten. Als ich fieberfrei war, nahm ich sofort Urlaub und fuhr in der Nacht noch ziemlich elend nach München und von dort weiter nach Elmau. Wundervolle Tage in Schnee und herrlicher warmer Wintersonne brachten mich erstaunlich schnell wieder hoch und mehr noch als Wintersport meinem Körper half der Geist von Elmau mir innerlich wieder auf die Beine. Mit frischem Mut und dem festen Willen mein Leben umzugestalten, kam ich in Berlin wieder an. Da erreichte mich den zweiten Tag nach meiner Rückkehr ein Brief des Grafen Schulenburg-Tressow, in dem er mir die durch die Wahl Dietrich Oertzens zum Staatsminister erledigte Stelle des Ritterschaftlichen Syndikus anbot, vorläufig vertretungsweise, da die Stelle dem Minister ein Jahr lang offen gehalten werden sollte. (Dadurch, dass dieser Dietrich von Oertzen (irgendein Vetter Detels) bei Wikipedia zu finden ist, kann ich nachvollziehen, was das für ein Job ist: Syndikus der Hauptdirektion des Mecklenburgischen Ritterschaftlichen Kreditvereins –  sprich: Rechtsanwalt bei einer Bank.) Ich zögerte nicht lange, nahm nach Rücksprache mit Dietrich Oertzen und Schulenburg die Stelle an, nachdem mir der Reichsfinanzminister in entgegenkommender Weise Urlaub auf ein Jahr bewilligt hatte. Am 1. Mai übernahm ich meine neue Stelle in Rostock. Wenige Tage nach meiner Ankunft dort starb der alte Freund unseres Hauses, Herr Staatsrat von Meerheimb. Durch Vereinbarungen mit seinem Sohn bekam ich in seiner bisherigen Wohnung in der neuen Wallstraße 1 ein gemütliches Heim und nun war die Zeit für mich gekommen, dass ich mir das suchte, was meinem Leben noch fehlte: Liebe und Sonnenschein. Wo ich es finden konnte, das wusste ich. Ein Besuch bei meinem Freunde Vorbeck in Barendorf machte es mir möglich, Vicky Blücher am Strande ein Stündchen zu sehen und zu sprechen. Von da ab stand mein Entschluss fest. Am 31. Mai fuhr ich nach Pötenitz und an einem wundervollen Frühlingsmorgen habe ich ihr am Meeresstrand gesagt, dass ich sie lieb hätte und von ihr alles Glück der Erde erwartete. Am 1. Juni 1924 war Vicky Blücher meine Braut.  Am 4. Juni erbat und erhielt ich in Berlin die Zustimmung ihrer Eltern und am 6. Juni feierten wir in Pötenitz gleichzeitig mit Brockens Silberhochzeit unsere Verlobung. Eine der schönsten Stunden meines Lebens war es, als ich am Pfingstsonntag meine Braut in das liebe alte Girlanden geschmückte Roggower Haus einführte. Es war für uns beide beglückend, die reine Freude der Geschwister an meinem, an unserem Glück, und an der neuen Schwester zu sehen. Jetzt kamen 3 unvergessliche Sommermonate mit unendlich viel Sonne innerlich und äußerlich. Ich war fast jeden Sonnabend/ Sonntag in Pötenitz und wir beiden lernten uns immer besser kennen und jeder Tag zusammen war immer noch weit weit schöner als der vorige. Von der Meerheimbschen Wohnung bekam ich noch so viel dazu, dass die Begründung eines ehelichen Hausstandes möglich war und so wurde dann, da nichts mehr im Wege stand, unsere Hochzeit auf den 26.9. festgesetzt. Den traurigen Zeiten entsprechend war es nur eine kleine Hochzeitsgesellschaft. Ich kam schon am 24. September zugleich mit den Roggower Geschwistern in Pötenitz an. Vickylein empfing uns an der Bahn mit verbundener Backe. Sie hatte eine langwierige, sehr schmerzhafte Zahnbehandlung hinter sich, die schließlich durch Ausziehen des Übeltäters hatte beseitigt werden sollen. Aber jetzt ging alles wieder gut, gottlob. Das war ein schöner Geburtstag! Am 25. kamen die Gäste, es war regnerisches und trübes Wetter. Die Poltereien am Abend waren dank der wirklich aufopferungsvollen rastlosen Tätigkeit aller mitwirkenden wunderhübsch. Frau von Arnim hatte sie meisterhaft zu einem einheitlichen Kunstwerk gestaltet. Als wir beim Tanzen waren, wurden wir hinausgerufen, weil stolz und lichterstrahlend der ZR III, das neuste zur Ablieferung an Amerika bestimmte Zeppelin-Luftschiff, ein Wahrzeichen deutscher Leistungsfähigkeit und Technik, auf der letzten großen Probefahrt vor der Reise über den Ozean vorüberzog. Am 26. September war strahlender Sonnenschein, die Ziviltrauung war vormittags im Pötenitzer Hause. Zeugen waren Vater Boehn und mein Bruder Willi. Nachmittags 03:00 Uhr wurde unsere Ehe in der schönen Kapelle, die prachtvoll geschmückt war, von Superintendent Rische eingesegnet. Unser Trautext war: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein. Meine geliebte Frau und ich haben uns vorgenommen zu tun, was in unseren Kräften steht, damit wir diese Aufgabe erfüllen. Nicht nur uns gegenseitig, sondern auch anderen ein Segen zu sein. Als wir aus der Kapelle traten, lag die blaue Lübeckerbucht im herrlichsten Sonnenschein vor uns. Der ergreifendste Augenblick war aber der, als ich mit meiner Frau 08:30 Uhr abends vor die Tür trat, um dieses Haus zu verlassen, in dem meine Frau so glückliche 5 Jahre verlebt hatte. Die Leute umsäumten mit Fackeln den Hof, „auf Wiedersehen“ riefen sie alle und Lehmitz entführte uns mit dem Auto in rasender Fahrt nach Lübeck. Die erste Nacht blieben wir in Hamburg, dann nach Eisenach, wo wir auf der Wartburg zweimal stundenlang die Schönheit der Thüringer Bergwälder genossen.

 

Schreibe einen Kommentar