Belgien

Belgien ist immer noch besetzt von den Deutschen, Hamme-Mille heißt das Dorf 10 Kilometer entfernt von Leuven, wo Du Ende Februar 1917 landest. Du richtest Dich in einem großen, seit Jahren unbewohnten und schlecht beheizbaren Chateau ein. Und übst Dich, weit genug von der Westfront entfernt, in „Friedensdienst“. „Schießen, Abteilungsritte, Offiziersreitstunde und infanteristische Ausbildung.“ Und weil das offenbar nicht genug Weiterbildung in Sachen Kriegsführung ist, bekommst Du zusammen mit dem Kommandeur und dem Rittmeister noch eine Woche Ausbildungskurs in Infanteriedienst in Oudenaarde. Sollst Du vom Reitersoldat zum Fuß-Soldat umgebildet werden? Viel darfst Du offenbar nicht davon erzählen, nur: „Es sind die allermodernsten Errungenschaften der Angriffstechnik, die wir in aller ihrer Scheußlichkeit und Großartigkeit kennen lernen.“ Kriegspielen ohne den Feind. Und nachmittags Vorträge über „Wirtschaftsfragen im Kriege“. Zum Abschluss machst Du mit den Kollegen zusammen einen Trip nach Gent, Brügge, Zeebrügge, Oostende, mit abschließendem Diner im Palasthotel in Brüssel. Nach den mageren Monaten in der Walachei kommst Du Dir vor wie ein König auf Dienstreise. „Mit zwei Dutzend Austern fing man fast jede Mahlzeit an. Diese sind billig und gut.“ Auch manches andere scheint es hier noch zu geben, Du schickst eine Liste davon nach Hause. Tee schickst Du auch gleich mit. Und sogar ins Theater gehst Du mal wieder. Die einzigen der Truppe, die noch arbeiten, sind die Pferde. Sie bestellen belgische Äcker. „Seitdem ist die Bevölkerung sehr freundlich zu uns. Im übrigen ist sie reserviert und zweifelt anscheinend nicht an einer baldigen Rückkehr der alten Landesherrschaft.“ Was diese Hoffnung genährt haben wird, ist der Kriegseintritt der USA im April.

Kriegseintritt USA 1917. President Woodrow Wilson asking Congress to declare war on Germany, causing the United States to enter World War I. Quelle:  https://cdn.loc.gov/service/pnp/cph/3g10000/3g10000/3g10200/3g10297v.jpg

Kriegseintritt USA 1917. President Woodrow Wilson asking Congress to declare war on Germany, causing the United States to enter World War I. Quelle: https://cdn.loc.gov/service/pnp/cph/3g10000/3g10000/3g10200/3g10297v.jpg

Schon lange ist den Amerikanern die deutsche Sucht nach kultureller Überlegenheit ein Dorn im Auge. Noch zur Jahreswende hat der amerikanische Präsident Woodrow Wilson seine Vermittlung angeboten, indem er auf das Friedensangebot der Deutschen reagierte und um Offenlegung der jeweiligen Kriegsziele bat. Die Gegner Deutschlands antworteten darauf, sie wollten Österreich-Ungarn auflösen und Deutschland solle auf seine eroberten Gebiete verzichten. Die Deutschen lehnten den Vermittlungsvorschlag Wilsons ab und nahmen die Antwort ihrer Kriegsgegner zum willkommenen Anlass, den unbeschränkten U-Boot-Krieg zu eröffnen.

Amerika brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab. Wilson zögerte noch mit dem Kriegseintritt, doch spätestens als im März amerikanische Staatsbürger durch deutsche U-Boot-Angriffe ums Leben kommen, griff er zum Kriegsbeil.

Kaum wird es in Hamme-Mille nach anhaltender Kälte frühlingshaft schön, kommt für Dich der Abmarsch-Befehl nach Mechelen. Auch hier wartet wieder ein hübsches Chateau auf euch Offiziere. Eure Aufgabe: die Bahn zu schützen. Zu Fuß. Überhaupt droht euch hohen Herren, gemeines Fußvolk zu werden. Statt Kavallerie also Infanterie. Für einen Adligen natürlich ein Unding. Du bittest Vater Fortunatus postwendend, sich doch mal umzuhören nach einem anderen Job für Dich. „Womöglich etwas, wo es was zu erleben gibt. Was ein bisschen interessant ist. Also entweder beim Stabe oder an der Front bei den Türken, Bulgaren oder dergleichen.“

Du gehst frust-shoppen in Antwerpen und verausgabst Dich prompt, Vatern muss Geld schicken. Dafür schickst Du auch kiloweise Seife nach Hause und Öl. Bewundernd schreibst Du von den schönen Städten. Wenn nur die unfreundliche, deutschenhassende Bevölkerung nicht wäre. „Sie bezahlen willig die höchsten Geldstrafen, aber tun nicht, was die Behörde will. Hier sind noch manche Häuser im Urzustand von 1914. Das heißt mit zertrümmerten Fenstern und halbzerstörtem Inventar. Die Leute sind nur mit Gewalt zum Aufräumen zu bewegen. Weil sie glauben, dass hier in einem viertel Jahr wieder Kampf toben wird, wenn der Engländer kommt und sie befreit, und weil sie die Unordnung als sichtbares Zeugnis der Barbarenherrschaft bestehen lassen wollen. Dabei ist sie hier ausschließlich von belgischen Kanonen angerichtet, als in den ersten Septembertagen die Ausfallschlachten von Antwerpen tobten.“

Ganz eindeutig deutscher Bauart ist dagegen der mit 2000 Volt geladene Elektrozaun, der die 300 Kilometer lange Grenze zwischen Belgien und den neutralen Niederlanden sichern soll. Ein teuflisches Drahtgeflecht, das hunderten belgischen Flüchtlingen, aber auch deutschen Deserteuren den Tod bringt. Du schreibst nichts über diesen Zaun. Nach zweieinhalb Monaten wendest Du auch Belgien wieder den Rücken zu, das Roulette dreht sich wieder, die Kugel landet in: Elsass-Lothringen.

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